Neues muss erst verstanden werden: ein fragmentarischer Rückblick auf eine Reise in die Zukunft

21. März 2018

Von 11. bis 13. März 2018 nahmen Reinhard Bauer (Bereichskoordinator für Forschung und Entwicklung am Institut für übergreifende Bildungsschwerpunkte der PH Wien) und Hermann Morgenbesser (FLL.wien-Koordinator für die PH Wien) an der vom AußenwirtschaftsCenter London organisierten ZUKUNFTSREISE DIGITALE BILDUNG teil. Die Veranstaltung erfolgte im Rahmen der Internationalisierungsoffensive go-international, einer Förderinitiative des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort und der Wirtschaftskammer Österreich.

Im Blogbeitrag „The Purpose of School – englische Einsichten“ vom 17.03.2018 berichtet Thomas Nárosy,  Entwicklungsprojektleiter für den Verein zur Förderung digitaler Bildungsangebote des FLL.wien, bereits sehr umfassend von seinen Reiseeindrücken. Der Fokus des vorliegenden Beitrags steht unter dem Motto „New technology is common, new thinking is rare“ (School21), d.h., es geht nicht um die (übliche und z.T. mühselige) Grundsatzfrage, ob nun neue Technologien in der Bildung ihren Platz haben sollen oder nicht, sondern vielmehr um die Frage, wie Innovation im Bildungsbereich (hier: Schule) gestaltet werden kann, was für den sinnvollen Einsatz von Technologie im Unterricht ausschlaggebend ist, welche Rolle dabei visionäre Lehr- und Führungskräfte spielen und wie neue Technologien in der Praxis eingesetzt werden (hier: Schulalltag in einer britischen Vorzeigeschule). Um es mit den Worten von Philippe Wampfler, Dozent für Fachdidaktik Deutsch am IFE der Universität Zürich, Kulturwissenschaftler und Experte für das Lernen mit neuen Medien, auszudrücken: „Traut man sich wirklich weiterzugehen und weiterzudenken? Das unterscheidet Menschen, die […] an zeitgemäßer Bildung interessiert sind von denen, die einfach nur Geräte benutzen wollen“ (Voigt, 2017).

Was passiert, wenn Bildungstechnologie auf Menschen trifft, wird in diesem Reiserückblick anhand von zwei ausgewählten Beispielen dargestellt: (1) der Plattform LabGap, einer Schnittstelle zwischen Lernenden und Ed-Techs, und (2) der School21, einer sogenannten „free school“ (freie Schule), d.h., einer staatlichen Schule in freier Trägerschaft (= von privaten Trägern gegründet und geführt), die dem „national curriculum“ nicht folgen muss, die höchsten Qualitätsansprüchen gerecht zu werden versucht und v.a. Kindern aus sozial schwächeren Bevölkerungskreisen zugänglich ist.

Mark Martin und die Plattform LabGap

Mark Martin aka @Urban_Teacher ist weltweit für seinen Einblick in und seine Leidenschaft für Bildung und Technologie bekannt. Er unterrichtet seit mehr als 10 Jahren IKT und hat sich zu einem Experten entwickelt, der Lehrer_innen und Schulen dabei unterstützt, Technologie zur Verbesserung von Lehren und Lernen einzusetzen.

Wie müssen wir uns diese Unterstützung konkret vorstellen? Mark Martin hat dafür die Plattform LabGap gegründet, eine Schnittstelle zwischen Lernenden und Ed-Techs. Unternehmen stellen Schulen neue Produkte zu Testzwecken zur Verfügung und das Feedback der Schüler_innen wird in die laufende Entwicklung einbezogen. Es entsteht eine Win-win-Situation für alle Beteiligten: Die Produzent_innen können die Marktrelevanz ihrer Lösungen optimieren und die Schüler_innen erhalten einen Einblick in die Ed-Tech-Branche (vgl. Videoclip und Grafik „LabGap Model“).


Mark Martin über LabGab

Quelle: Lab Gap Model, @LabGap, 15.10.2014

Die Visualisierung rechts veranschaulicht auf sehr einfache Weise, wie das Zusammenspiel von Unternehmen und Schule funktioniert. Wie schaut das in Österreich aus? Mit Austrian Edupreneurs (mehr 320 Mitglieder, Sponsoren) wurde eine Plattform für EdTechs in Österreich geschaffen: Ziel ist es, ein unabhängiges und neutrales Netzwerk von und für AkteurInnen im Bereich der IKT-gestützten Bildung darzustellen und die Sichtbarkeit von EdTech zu erhöhen. Austrian Edupreneurs soll ein offener Platz für alle Menschen sein, welche die Vision teilen, gelungene Bildungsprodukte unter dem Einsatz von IKT zu entwickeln, und die Zukunft von EdTech in Österreich aktiv mitgestalten wollen. Austrian Edupreneurs öffnet die Community für neue Mitglieder und bietet Übersicht und Information über die EdTech-Landschaft und -Industrie“ (Quelle: https://austrianedupreneurs.com/, 21.03.2018). Mit Austrian Edupreneurs besteht also grundsätzlich eine Plattform, die sich – ähnlich dem Londoner LabGap – einer (konkreten) Vernetzung von EdTech-Unternehmen und Schulen annehmen könnte. Das ZLI war übrigens vor ungefähr einem Jahr beim 2. Meetup der Initiative dabei (vgl. den Blogbeitrag „ZLI meets Austrian Edupreneurs“, 03.02.2017).

Als @Urban_Teacher beeindruckte Mark Martin in seinem Vortrag mit seiner „Philosophie“ (s. Fotos und Grafik unten): Ein/e Lehrende/r müsse vernetzt agieren und die größte Wirkung sei durch Zuhören, Würdigen und Anerkennen, Geduldig sein, Öffnen von Türen, beispielhaftes Vorangehen, Lächeln, Teilen und Aufmerksam sein zu erzielen. Mithilfe einer Visualisierung von Rebeca Zuñiga skizzierte er außerdem Lösungsansätze für die Überwindung der digitalen Kluft an.

Mark Martin, Connected Educator, 12.03.2018 (Foto: R. Bauer)

Mark Martin, How to make an impact, 12.03.2018 (Foto: R. Bauer)

Mark Martin, A smile is the best thing you can wear, 12.03.2018 (Foto: R. Bauer)

Mark Martin, The Digital Devide, 12.03.2018  (Foto: R. Bauer)

 

 

 

 

 

 

 

 

@Urban_Teacher, Here are some solutions for solving the digital divide for schools, parents & community (Quelle: @Urban_Teacher, 02.12.2017)

School21 oder: Kinder durch zeitgemäßen Unterricht auf das Leben im digitalen Zeitalter vorbereiten

School21, Außenansicht (Foto: R. Bauer)

School21, Pitchford St, London E15 4RZ, UK (Foto: R. Bauer)

Die School21 wurde 2012 von Peter Hyman (vormals Stratege in der 10 Downing Street), Oli di Botton (Lehrer und international tätiger Schulberater) und Ed Fidoe (Experte für Schulreform und Gründer des Startup-Hubs Edspace) gegründet. Auffallend am Konzept dieser Schule ist es u.a., dass Kinder mit vier Jahren eingeschult und bis zum 18. Lebensjahr ausgebildet werden.

Das Konzept der Schule umreißt Peter Hyman im folgenden Videoclip:


Peter Hyman über das Konzept der School21

Quelle: School21, Design Principles

Der Unterricht richtet sich nach festgeschriebenen Leitsätzen, die für einen harmonischen Ausgleich von „Head“ (akademische Leistung), „Heart“ (Charakter und Wohlbefinden) und „Hand“ (Ideenfindung, Problemlösung und Handeln) sorgen sollen: „These [vgl. Grafik links] are the pieces of the jigsaw that make up School 21. At the centre is a belief in the growth and well-being of every child. Each piece of the jigsaw is an area of deep research and reflection for members of staff and pupils“ (Quelle: School21, Design Principles, 21.03.2018).

Fächerübergreifend kommt dabei natürlich auch Bildungstechnologie zum Einsatz, allerdings nur dann, wenn sie der Erreichung bestehender pädagogischer Ziele dient: „Technology should never be centre-stage – it always exists to serve pre-existing objectives. [It] should enhance our pedagogies – making it easy to reflect on oracy, develop real world learning or deepen subject knowledge. Students are digital natives (they have been born into the world of iPads). They should help lead teachers in the effective use of technology. We will have a few apps that everyone will use for work flow and to ensure consistency. All teachers will work to integrate technology into their practice using the SAMR (Substitution, Augmentation, Modification, Redefinition) approach“ (Quelle: School21, Technology, 21.03.2018).

School21, Einführung in die Stop-Motion-Filmtechnik (Foto: R. Bauer)

SAMR ist ein 2006 von Ruben R. Puentedura entwickeltes 4-Phasen-Modell, das erklärt, wie die Bearbeitung und Gestaltung von Aufgaben durch Technologie verbessert werden können. Eine Übersetzung der wichtigsten Begriffe ins Deutsche findet sich hier. Am interessantesten sind die Phase der „Modification bzw. Änderung“ (= Technik ermöglicht beachtliche Neugestaltung von Aufgaben) und die der „Redefinition bzw. Neubelegung“ (= Technik ermöglicht das Erzeugen neuartiger Aufgaben, die zuvor unvorstellbar waren). Als ein Beispiel dafür kann die Produktion eines Stop-Motion-Films (von der ersten Idee bis zum fertigen Film) mithilfe eines Tablets dienen. Wichtig dabei ist allerdings immer, dass es nicht um den bloßen Einsatz neuer Technologien geht („new technology is common“), sondern um ein Nachdenken über innovative Einsatzszenarien („new thinking is rare“). Wie dieser Gedanke an der School21 umgesetzt und gelebt wird, erläuterte Tasneem Patel (Head of Computing). Gemeinsam mit einer Schülerin und einem Schüler präsentierte sie einen Überblick über die STEM-Fächer (= Science/Technology/Engineering/Mathematics).

Die skizzierten zwei Beispiele machen deutlich, welche Rolle neue Technologien in der Schule des 21. Jahrhunderts spielen bzw. welchen Platz sie einnehmen sollten: „A school where every pupil and every teacher has access to the most effective technology tools, whenever they are the best way of learning and teaching. A school where no one talks about technology anymore“ (Dom Norrish, Group Technology Director, United Learning Multi Academy Trust, Vortrag am 12.03.2018). Wir müssen uns endlich von der Grundsatzfrage, ob nun neue Technologien in der Bildung ihren Platz haben sollen oder nicht, verabschieden. Unser Ziel müssen Schulen sein, wo nicht mehr über Technologien diskutiert wird, sondern wo sie – wenn mit einem Mehrwert verbunden – eingesetzt werden.

Literatur & Quellen

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