Offenheit in Lehre und Forschung: Königsweg oder Sackgasse?

18. Juni 2017

Tagungsrückblick zum „Jungen Forum Medien in der Hochschule“ 2017

Am 15. und 16. Juni 2017 fand in den Räumlichkeiten des Hamburger Zentrums für Universitäre Lehre und Lernen (HUL) der Universität Hamburg die diesjährige Tagung des Jungen Forums Medien in der Hochschule statt.

Eine Besonderheit dieser Tagung liegt im Austausch und in der Vernetzung von Nachwuchswissenschaftler*innen auf Augenhöhe und damit im Hin-ein-Wachsen-Können in die universitäre Rolle. Eine weitere Besonderheit liegt in der interdisziplinären Vernetzung von Vertreter*innen unterschiedlicher Gesellschaften: Aus der Medienpädagogik (Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), Sektion Medienpädagogik), aus dem E-Learning- und Bildungstechnologie-Bereich (Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft (GMW)) aus der Hochschuldidaktik (Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd)) und Informatik (Gesellschaft für Informatik (GI)). Für das ZLI und als eine Sprecherin des „Jungen Netzwerks für Medienpädagogik“ (DGfE) war Nina Grünberger anwesend und berichtet hier über einige Spotlights und — passend zum Thema der Offenheit — über offene Fragen.

Spotlights des JFMH17

Schon im Eröffnungsvortrag „Inwiefern kann eine akademische Open Educational Practice gelingen?“ hat Kerstin Mayrberger u. a. verdeutlicht, dass die Frage von Offenheit von Forschung und Lehre keine triviale ist und jeder Diskurs darüber zu klären hat für wen zu welchem Ziel was in welcher Form eröffnet wird. Ebenso wurde die Frage von Öffnung von Produkten und/oder Prozessen thematisiert, die sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung gezogen hat.
Gleich zwei Beiträge haben den Umstand verhandelt, dass uns alleine die Nutzung von bestimmter Hard- und Software einschränkt und die angestrebte Offenheit hindert. Christopher Könitz behauptet in seinem Impulsvortrag „OER — Auf dem Weg in eine selbstverschuldete digitale Unmündigkeit“ gar, dass die Nutzung von bestimmten Programmen und das Arbeiten mit bestimmten digitalen Umgebungen — auch wenn zum Zweck der Förderung von OER und OEP — eher zur Unmündigkeit, denn zur Offenheit führt. Mit Christopher etwas überspitzt formuliert: „So frei ist Power Point gar nicht.“ (Mehr dazu auch in diesem Video). Und Axel Dürkop hat in seiner Nachwuchskeynote „Die Architektur von Offenheit — Überlegungen zur Gestaltung der digitalen Transformation“ verdeutlicht, dass der Anspruch der Offenheit nicht nachträglich an sozio-technische Systeme herangetragen werden kann, sonder immer schon im Design der Systeme mitgedacht werden muss. Anders formuliert: Nicht das Design der Systeme wird für Offenheit genutzt, sondern das System für Offenheit designed. Als Ergebnis braucht es eine stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit von Hochschulforschung, Medienpädagogik/-didaktik und Informatik von Beginn an.
Schließlich hat Christian Heise in seiner Keynote „Offenheit als Grundlage für Gesellschaftliche Entwicklung und Treiber für digitalen Fortschritt“ über seine offene Doktorarbeit berichtet, deren Entstehungsprozess und Endprodukt er im Internet öffentlich zugänglich gemacht hat. Dabei hat er über hinderliche Hochschulstrukturen und den notwendigen Aktivismus, diese zur Veränderung zu drängen, gesprochen. Ein mutmachender Beitrag, Ideen umzusetzen und notfalls — höflich aber doch — auch Machtinstitutionen mit innovativen Ideen zu konfrontieren.

Königsweg oder Sackgasse?

Von der Tagung nehme ich als Impulse mit, dass Offenheit generell als Motor für Innovation und Partizipation auf Ebene unterschiedlicher Altersgruppen einer Hochschule oder Universität gilt. Dabei wurde insbesondere diskutiert an welcher Stelle das möglich ist, wo auch Gefahren bestehen und wo strukturelle Hürden erst überwunden und eine wissenschaftliche Tradition der Zusammenarbeit erst transformiert werden muss.

Offen bleibt für mich zum einen die Frage wo Offenheit umfänglich angestrebt wird oder gar vorgegeben wird schon zu leben (bspw. in der eigenen Forschung und Lehre). Für mich muss ich feststellen, dass ich Offenheit leben möchte, aber Hemmungen habe dies in umfänglichen Sinne zu tun. Ich führe dies insbesondere auf strukturelle Hürden im universitären System zurück: Etwa dort, wo nicht nur „Open Access“ zu fertigen Produkten eröffnet wird, sondern etwa auch der Erarbeitungsprozess auf allen Ebenen — von der Ideen-Findung und -Konkretisierung, den unterschiedlichen Schreibphasen mit ihren Vorläufigkeiten usw. — sowie der Weiterverarbeitungs- und Weiterentwicklungsprozess (bspw. Rückmeldungen, darauf folgende Einladungen, ge- oder misslungene Geldeinwerbungen) offengelegt werden soll.
Und es bleibt die Frage zu verhandeln, welche manifestierten, Offenheit verhindernden Strukturen unsere Gesellschaft respektive das universitäre System vorgibt (und wir selbst weiter-/tragen): Ich denke dabei an kollaborationsverhindernde Karriereorientierungen, an Hürden entlang unterschiedlicher Machtverhältnisse (bspw. Dozent*in und Studierende) und an internationale, nationale und standortspezifische hochschulpolitische Traditionen.

Diese beiden Fragen werden mich weiterhin beschäftigen und ich kann mir vorstellen diesen diskursanalytisch mit Fokus auf „Open Educational Practices“ — wie es Valentin Dander, Franziska Linke und Patrick Bettinger in ihrem Workshop „Researching Open Educational Practices (OEPs). Diskursforschung in der Mediendidaktischen Hochschulforschung“ vorgeschlagen haben — systematisch nachzugehen.

Zur Frage ob Offenheit Königsweg oder Sackgasse für Forschung und Lehre ist, komme ich zum Schluss, dass es weder noch sein kann:
Königsweg kann es insbesondere deswegen nicht sein, weil der Prozess der Öffnung eben nichts mit königlichem Prestige, Selbstruhm, monetärem Reichtum und Fokus auf eine Einzelperson — dem König oder die Königin — zu tun hat. Vielmehr kann die Öffnung als Prozess „vom Volke für das Volke“ und insbesondere Bottum-up verstanden werden. Es geht eben gerade nicht darum einen Thron zu installieren und zu festigen, sondern um eine enge Verbindung von Forschung, Lehre und Gesellschaft mit dem Ziel der gemeinsamen Lösung von — in den Worten Wolfgang Klafkis — „epochaltypischen Schlüsselproblem“. Die Öffnung führt aber auch in keine Sackgasse, der eigen ist, dass man nicht mehr weiter kann und ansteht. Offenheit von Forschung und Lehre ist ja gerade eine Öffnung; sie eröffnet einen Weg. Metaphorisch weitergedacht, ist die angestrebte Öffnung — entlang der Konzepte von Open Educational Ressources, Open Educational Practices, Open Pedagogy und Open Science — nur zu Beginn ein Weg, der sich, je weiter man ihn geht, im Nichts verliert, ausfranst, diffundiert, bis man in einer Wiese steht, mit der Gefahr einer Desorientierung, aber gleichzeitig mit unendlichen Möglichkeiten und dem Ziel einen gangbaren Weg zu finden.

Mit dem Bild eines Spaziergangs durch eine Wiese freue ich mich auf die nächste Tagung der JFMH, auf weitere inspirierende Gespräche mit lieben Kolleg*innen und danke dem Orga-Team für die wirklich wunderbare und engagierte Organisation!

Dieser Beitrag wurde zusätzlich hier veröffentlicht. Zu Offenheit von Forschung und Lehre siehe auch diesen Beitrag.

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